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Gedenksteine für die Opfer des Nationalsozialismus
Am 15. Juni wurden in Bern vier Gedenksteine für fünf Opfer des Nationalsozialismus installiert. Die Steine wurden an den ehemaligen Wohn- oder Geburtsadressen der Menschen installiert. An einer Gedenkveranstaltung im Berner Paul Klee-Zentrum sprach Bischof Felix Gmür das nachfolgende Grusswort:
Wenige Jahre bleiben uns. Dann werden wir die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs nur noch aus Geschichtsbüchern, Interviews oder Dokumentationen kennen. Die letzten Überlebenden, die verfolgt und in Konzentrationslager verschleppt wurden, stehen vor dem Ziel ihres irdischen Weges oder haben es bereits erreicht. Sie sind mahnende Zeuginnen und Zeugen für eines der dunkelsten und grausamsten Kapitel der Menschheitsgeschichte, vor dessen Wiederholung wir nicht gefeit sind. Kriege und Genozide in verschiedenen Regionen dieser Welt sowie die Machenschaften rechtsradikaler Gruppierungen – auch hierzulande! – lassen daran keine Zweifel aufkommen.
Das Schicksal dieser Zeitzeugen ist unmittelbar mit allen in den Kriegsjahren Verfolgten und Ermordeten verbunden. Jeder Name steht für eine einmalige Biografie. Jeder Name ist eingewoben in ein Netz von Geschichten, Orten, Beziehungen. Das Netz weist über die jeweiligen Lebensjahre hinaus, denn dessen Fäden reichen in die Vergangenheit und sind bis in die Gegenwart gespannt – über Verwandte der Ermordeten, Orte, an denen sie lebten oder auch Gedenkstätten wie die Stolpersteine hier in Bern. Jeder eingravierte Name bezeichnet eine Person, deren einmalige Geschichte so aufleuchtet. Gleichzeitig verweist der Name auf die Würde des betreffenden Menschen. Nicht umsonst wurden unzählige KZ-Häftlinge ihres Namens beraubt und nur mit einem Zeichen oder einer Nummer versehen. Dies war weit mehr als ein funktionaler Akt. Es war und ist eine unvorstellbare Demütigung und die Negation all dessen, was die Identität dieser Menschen prägt und sie mit ihren Liebsten verbindet.
Die Stolpersteine setzen ein Gegenzeichen. Sie erinnern an Namen, machen die Fäden des individuellen Lebensnetzes sichtbar und gewährleisten die Erinnerung über die Gegenwart hinaus. Gegenzeichen dieser Art sind für die ganze Gesellschaft und gerade auch für die Kirchen höchst bedeutsam. Sie haben sich mitschuldig gemacht. Mit Scham verneige ich mich vor den Opfern und bitte im Namen der Kirche um Entschuldigung.
Die Stellungnahme der Schweizer Bischofskonferenz zur Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg ist bis heute aktuell. Sie stammt von 1997 und sagt:
„Wir haben das Erbe unserer Vergangenheit übernommen und daraus gelebt; wir müssen aber auch in die Verantwortung für die dunklen Seiten eintreten. Wir (...) unterstützen alles, was mithilft, diese Vergangenheit klarer zu sehen und die sich für uns daraus ergebende Verantwortung zur Wiedergutmachung auf uns zu nehmen. Der Rückblick in die Vergangenheit muss insbesondere unsere Sensibilität für ähnliche Gefahren in Gegenwart und Zukunft wecken, namentlich was unseren Umgang mit den Flüchtlingen und die Mitwirkung an fremdem Unrecht betrifft.“
Wir brauchen Erinnerungshilfen wie die Stolpersteine und die eingravierten Namen, um genau hinzuschauen und daraus für unser Handeln Konsequenzen zu ziehen.
Für die Opfer sind diese Erinnerungshilfen ein Beitrag zur Gerechtigkeit. Ich glaube fest daran, dass ihnen von Gott her Gerechtigkeit widerfahren ist und sie in Gottes Liebe geborgen sind. Im Buch Jesaja, welches die christliche Bibel mit der jüdischen Tradition teilt, ist dies berührend beschrieben:
"Kann denn eine Frau ihr Kindlein vergessen, / ohne Erbarmen sein gegenüber ihrem leiblichen Sohn? Und selbst wenn sie ihn vergisst: / Ich vergesse dich nicht. Sieh her: Ich habe dich eingezeichnet in meine Hände.“ (Jes 49,15f.)
In Messing eingraviert wider das Vergessen, in Gottes Hände eingezeichnet und in seiner mütterlichen Liebe aufgehoben, auf ewig. Daraus schöpfe ich Hoffnung und die Motivation, mich für das Anliegen dieser Gedenkveranstaltung zu engagieren.