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Mit Blick auf die Welt sehe ich Kirchenberufe im Trend

Eine katholische Kirche ohne Priester ist kaum vorstellbar. Das Interesse an diesem einzigartigen Beruf unterliegt aber Schwankungen. Mit dem interdiözesanen Informationstag für den Priesterberuf soll im Berufungsmarketing ein Akzent gesetzt werden. Wir haben mit dem neuen Regens des Seminars St. Beat, Luzern, Dr. Agnell Rickenmann, gesprochen.

Von Hansruedi Huber

Weshalb sind Sie Priester geworden?

Aus Liebe zu Christus und Kirche. Es war aber keine Liebe auf den ersten Blick. Obschon ich in einer katholischen Familie aufgewachsen bin und die Stiftsschule des Benediktinerklosters Einsiedeln besucht habe, musste ich die Religiosität für mich zuerst entdecken. Entscheidend waren die Erlebnisse in einem klösterlichen Jugendlager. Ich dachte, entweder spinnen die Leute oder ich habe noch nicht alles entdeckt.

Was macht das Priestersein für Sie immer noch kostbar?

Es sind in erster Linie zwei Gründe: Die tägliche Feier der Sakramente und für andere Menschen da zu sein – bei welchen Themen und Lebenssituationen auch immer. Ich verstehe mich als „Mystagoge“, der Menschen zum Geheimnis des Göttlichen führt. Es liegt mir viel am Herzen, immer wieder daran zu erinnern, dass sich unser Sein nicht im Irdischen erschöpft. Es ist erfüllend, sein Leben der Nachfolge Jesu zu weihen und sein Freund, sein Jünger zu sein.

Dennoch hat das Interesse am Priesterberuf abgenommen.

Das stimmt. In den letzten Jahrzehnten hat ein grosser Säkularisierungsschub stattgefunden. Es gibt kaum noch eine kirchliche Volkskultur. Die Generation des zweiten Vatikanums, die für viel Polarisierung gesorgt hat, ist am Abdanken und die Nachfolgegeneration war mehr vom Materialismus vereinnahmt als von der Kirche. Es sind also in erster Linie der gesellschaftliche Bedeutungsverlust der Kirche und die fehlende kirchliche Sozialisierung, die zu einer Einbusse der Nachfrage geführt haben.

Geschadet haben vermutlich auch die Skandale?

Ja, das ist klar – wobei die Aufarbeitung wichtig war. Hier hat die Kirche eine gesellschaftliche Vorbildfunktion geleistet. Aber es gibt auch ein „Priester-Bashing“ innerhalb der Kirche. Man versucht Priester als „ewig Gestrige“ darzustellen, als eine Art vorkonziliares Phänomen. Doch es kommt nun eine Generation, die das anders sieht.

Welche Rolle spielt das Zölibat dabei?

Das Zölibat ist für viele etwas Verschrobenes und Weltfremdes. Sich langfristig zu etwas zu verpflichten, ist nicht einfach. Deshalb leidet auch die Ehe an gesellschaftlichem Bedeutungsverlust. Im Zölibat sehe ich ein Alternativentwurf gegen den gängigen Körperkult – eine Lebensform, die viel Freiheit schafft. Denn hier auf Erden ist noch nicht alles erreicht.

Wo sehen Sie die grössten priesterlichen Herausforderungen?

In einer Zeit der Beliebigkeit, wo alles gleich gültig und deshalb „gleichgültig“ ist, ist eine neue Verbindlichkeit gefragt. Eine Verbindlichkeit, die auf Liebe und Güte basiert. Als Mystagogen sollen Priester Menschen helfen, das Christliche im Lärm der Welt wieder zu entdecken. Aus kirchlich operativer Sicht gibt es auch eine „Re-Alphabetisierung“ zu leisten. Viele Mitglieder der Kirche haben keinen Zugang mehr zur liturgischen Wirklichkeit.

Und die digitale Konkurrenz?

Virtuelle Realitäten sind nicht grundsätzlich schlecht, so lange man diese noch von der Welt „in Fleisch und Blut“ unterscheiden kann. Die Menschen sehen, dass auch Virtuelles real sein kann. Allerdings führt die Virtualisierung vieler Lebensbereiche auch zu einer grossen Unsicherheit. Seriöse Inhalte und „fake News“ sind oft kaum zu unterscheiden. Dagegen bietet das Christentum Halt, weil es nicht auf einem Mythos basiert, sondern historisch gesichert ist.

Die Anforderungen an die Kirchenführung haben sich durch gesellschaftlichen Wandel und Pastoralräume erhöht. Werden Priester künftig auch eine Management-Ausbildung durchlaufen?

Vermutlich werden wir uns auch mit Management-Theorien beschäftigen müssen. Immerhin setzt die christliche Mission eine gehörige Portion Mut und Unternehmergeist voraus. Allerdings bin ich klar der Meinung, dass Priester nicht zu „Managern“ mutieren sollen.  Priester dienen als Mittler „Links“ zu Gott.  Sie sollen intellektuell, spirituell und sozial in der Lage sein, Menschen zum Geheimnis des Göttlichen zu führen. In der Ausbildung müssen sie darin gestärkt werden, Menschen aus authentischer Glaubenskraft für die Botschaft Jesu zu faszinieren. Priester sollen keine Strategie-Technokraten werden, sie müssen begeistern können.

Sie tönen sehr optimistisch. Oft wird zuerst begründet, weshalb Dinge nicht mehr möglich sind.

Aussagen wie „das machen wir, so lange wir noch können“, kann ich nicht mehr hören. Das ist Schwefeldampf aus der Unterwelt und nur destruktiv. In der Schweiz und vor allem im Bistum Basel sind wir gut aufgestellt. Es gibt fast nichts, was wir nicht bewegen können, wenn wir es wollen. Gefragt sind visionäre Kraft, Fantasie, Empathie und Pragmatismus. Mit Blick auf die globale Entwicklung sehe ich die Kirche und ihre Berufe im Trend.

Agnell Rickenmann: CV in Kürze

Der 1963 geborene neue Regens Dr. Agnell Rickenmann wuchs in der Stadt Solothurn auf. 1983 erreichte er die klassische Matura am humanistischen Gymnasium bei den Benediktinern in Einsiedeln. Im selben Jahr begann er die Priesterausbildung im Kollegium Germanikum in Rom mit dem Philosophiestudium an der päpstlichen Jesuitenuniversität Gregoriana. Nach Studienjahren in Rom und Strassburg schloss er 1989 das Lizenzstudium in Philosophie an der Lateranuniversität in Rom ab und 1990 das Theologiestudium am Institut Augustinianum in Rom. 1989 wurde Agnell Rickenmann zum Priester geweiht. Von 1990-1993 war Agnell Rickenmann Vikar an der Dreifaltigkeitspfarrei in Bern. Im Herbst 1993 kehrte er nach Rom zurück, um das Doktoratsstudium in Patristik an der Gregoriana aufzunehmen, das er 1997 erfolgreich abschloss. 1996 wurde er Pfarrer in Risch. Diese kleine Pfarrei am Zugersee machte es ihm möglich, der akademischen Lehrtätigkeit an der Theologischen Fakultät der Universität Lugano und der Theologischen Fakultät der Universität Luzern nachzugehen. Von 2001-2006 war Agnell Rickenmann Generalsekretär der Schweizer Bischofskonferenz mit Sitz in Freiburg i. Ue. Im März 2007 begann er seine Tätigkeit als Pfarrer im Wallfahrtsort Maria Oberdorf bei Solothurn. Seit 2011 ist er in der Leitung des Dekanats Solothurn tätig; 2016 wurde er als Pastoralraumpfarrer für den Pastoralraum Mittlerer Leberberg eingesetzt.