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Mensch, Du forderndes Geschenk!

Paris ist global. Es herrscht Ausnahmezustand. Der Schock über das wahllose Töten sitzt tief. Blutrunst und Barbarei der Mörder machen sprachlos. Unsere Sprache ist seit Paris gelähmt. Wir ringen nach Worten. Traurig und wütend sei sie, sagt Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga.

Wir zünden die erste Adventskerze an. Sie ist jetzt auch die Kerze von Allerseelen, die Kerze der Trauer und der Sprachlosigkeit. Wir sehen eine Flamme und ein Licht. Sie bringen ein bisschen Bewegung in die Starre und Hell in das Dunkel. Es flammt Wohlgeruch und Hoffnung auf im Kerzenschein.

Wohlig ist sie nicht, die erste Kerze. Wir stehen erst am Anfang. Weihnachten ist noch nicht da. Wir warten noch, warten ab, passiv. Noch drei Wochen, noch zwei Wochen, noch eine Woche. Sind wir gelähmt? Lassen wir uns lähmen? Sind wir zum Warten verdammt?

Nicht irgendwer zündet die erste Kerze an. Wir sind es, die sie anzünden. Wir werden nicht erinnert, dass Weihnachten kommt. Wir erinnern uns selbst. Wir warten nicht passiv ab, sondern wir erwarten, aktiv. Wir erwarten die Ankunft. Advent heisst Ankunft. Wir wollen, dass Weihnachten kommt. Wir wollen Weihnachten mit seinen vielen Geschenken, sicherlich. Sicher jedoch brauchen wir Weihnachten mit seinem einen und einzigen Geschenk: Gott wird Mensch. Denn darin werden wir Menschen wahrhaft menschlich. Das glaubt die Christenheit.

Das eine Geschenk: Gott wird Mensch. Schon jetzt aber „haben wir das Geschenk“, wie der Volksmund sagt. Viele Menschen. Für manche sind es zu viele. Es sind so viele, dass wir nicht wegschauen können. Wir sind mittendrin und werden gewahr, dass Migration auch uns betrifft. In der Schweiz haben wir bereits viele Migrantinnen und Migranten. Die allermeisten sind Arbeitskräfte, die wir brauchen, wollen und schätzen. Die allermeisten sind Menschen, denen wir und die uns mit Respekt begegnen, weil wir einander kennen.

Jetzt kommen aber Menschen, die nicht auf ein Stelleninserat hin Migranten geworden sind. Sie kommen aus Eritrea und aus Syrien und anderswoher. Sie kommen aus Paris. Ja, aus Paris. Denn Paris ist fast jeden Tag in Damaskus, in Bagdad, in Aleppo.

Wer wollte diesen Menschen die Flucht verübeln? Wo kein menschenwürdiges Leben mehr möglich ist, wo nach menschlichem Ermessen Zukunft keine Zukunft hat, wo Perspektiven fehlen: Wer wollte da schon bleiben? Jetzt kommen einige dieser Menschen zu uns. Es ist eine beispiellose Flüchtlingswelle aus just jenen Ländern, die zur Wiege der Christenheit gehören. Und wo Christen verfolgt sind und keine Bleibe haben.

Auf dieses Geschenk wartet niemand. Schon gar nicht jetzt, wo wir in Sorge um die Sicherheit vor Anschlägen religiöser Fanatiker sind. Sollen wir das ungelegene Geschenk annehmen? Stellt sich uns diese Frage überhaupt? Nein, denn die Menschen sind da! Es stellt sich nur die Frage nach der Antwort, die wir auf diese Ankunft, auf diesen Advent in dieser Adventszeit geben.

Zahlreiche Menschen engagieren sich für Flüchtlinge. Dieses grossherzige Engagement entspringt der Betroffenheit vieler einzelner Menschen. In soliden Verhältnissen lebend, Gott sei Dank, handeln wir, so wie wir können, solidarisch. Wir gewinnen so wieder Boden unter den Füssen. Dabei werden wir selber wieder sprachfähig. Und die Flüchtlinge dazu.

Damit überwinden wir Trauer und Wut. Zunächst. Denn es braucht mehr. Die meisten Flüchtlinge wollen zurück in ihre Heimat. Dort brauchen sie berufliche Perspektiven, Zukunft, Frieden. Das ist nicht gratis zu haben. Es braucht auch unsere Investitionen vor Ort. Die Zeichen aus Bern stehen momentan schlecht. Es ist fast so, als ob die Parlamentarier alle Flüchtlinge hier behalten wollten. Weil das Geld hier bleibt.

Wenn Migranten hier Fuss fassen wollen, braucht es Integration. Parallelgesellschaften sind Nährboden für Frust, manchmal auch für Gewalt und ihre Ausbrüche. Paris. Das können wir nicht wollen.

In Paris geht es ab Montag um den Ausnahmezustand, in der die Welt klimatisch ist. Manche Migrationsströme haben ja ihren Ursprung im Klimawandel. Auch hier können wir Schweizerinnen und Schweizer ein Zeichen setzen. Ein kleines zwar. Aber wie war es mit dem Retter der Welt an Weihnachten? War er am Anfang nicht auch ganz klein?

Felix Gmür, Bischof von Basel