News

Hirtenwort 2016: Bischof Felix zur christlichen Identität

Erinnern und bekennen, danken und barmherzig sein

Liebe Schwestern und Brüder

Rot ist er bei uns. Blau oder grün bei anderen. Wann immer wir uns aufmachen und in die Ferne reisen, ist er mit dabei. Wer freiwillig weg geht, hat ihn oft mit Stolz dabei. Wer unfreiwillig geht, versteckt ihn vielleicht oder wirft ihn weg. Denn er verrät Herkunft und Identität. Es ist der Pass. Er weist unsere Identität aus als Schweizer, Deutsche, Italiener, Syrerin, Australier, Kongolesin oder Bolivianer. Nationale Identität wird greifbar mit einem Dokument. Mit Name, Foto, Nationalität.

Die wirkliche Identität macht der Pass allerdings noch nicht aus. Sie entsteht durch Sprache, durch Erleben, durch gemeinsame Geschichte.

Und wir Christen? Was ist unsere Identität? Hätten wir einen Christen-Pass, würde wohl das Glaubensbekenntnis drinstehen. Wer den christlichen Glauben bekennt, sagt öffentlich und frei, dass er an den dreifaltigen Gott glaubt. Das ist der eine Teil unserer christlichen Identität, die amtliche Identität sozusagen. Sie ist öffentlich und offenkundig – eben wie ein Pass. Mit Name und Glaubensbekenntnis. Immer gleich. Daraus entwickelt sich der andere Teil der Identität als Christin und als Christ. Sie zeigt sich, wenn wir mit dem Herzen glauben, was unser Mund bekennt, wie es in der heutigen Lesung aus dem Römerbrief heisst. Das Bekenntnis hat Konsequenzen, sonst läuft es ab wie ein Pass. Es ist die Identität, die nicht einfach ist, sondern immer wieder neu wird. Es ist die gelebte Identität. Immer neu.

Ein Beispiel gibt die heutige Lesung aus dem Buch Deuteronomium. Am Anfang steht die Erfahrung, nämlich die gemeinsam erlebte Geschichte mit Gott. Auf diesem Fundament steht das kleine historische Glaubensbekenntnis des Volkes Israel. Noch heute wird es im Erntedankritus Jahr für Jahr wiederholt. Es erzählt vom Auszug des heimatlosen Aramäers, der als Fremder nach Ägypten kam und zu einem grossen Volk wurde. Das Volk wurde schlecht behandelt und in seinen Rechten nicht anerkannt. Darum begannen die Menschen zu Gott zu schreien. Sie baten um Hilfe. Dadurch wird ihre Identität greifbarer; sie wird lebendig. Mit Name, Bekenntnis, Bittgebet.

Und Gott? Gott hört ihr Schreien. Er sieht, wie sie Unrecht erleiden und unter der Arbeitslast kaputt gehen. Er fühlt mit ihnen und spürt ihre Bedrängnis. Gott zeigt Mitgefühl. Deshalb rettet er sein Volk aus diesem Elend. Er führt die Menschen in ein Leben ohne Hunger und Durst, ohne Verfolgung und Ausbeutung. Er führt sie in ein Land, in dem Milch und Honig fliessen. Ein kleines Paradies auf Erden!

Dafür ist das Volk dankbar. Denn es weiss, dass das nicht selbstverständlich ist. Darum erinnert es sich immer wieder daran und dankt Gott mit den ersten Früchten am Erntedankfest. Und noch etwas, etwas Wichtiges sogar: Das Volk Gottes bleibt nicht einfach unter sich, sondern es feiert mit der ganzen Familie und „dem Fremdling, der in deiner Mitte sich aufhält“, wie es im Vers 11 heisst, der gleich nach dem heutigen Lesungstext kommt. Ja, nicht allein, sondern mit dem Fremden unter uns!

Mit dem Erntedankritus deutet Israel seine Geschichte. Das Volk Israel erinnert sich immer wieder neu daran, dass es selbst fremd, sozial deklassiert und unerwünscht war und von Gott schliesslich gehört und gerettet wurde. Mit dem Dank verbindet es das Bekenntnis zu Gott. Jahr für Jahr wieder erinnert, dankt und bekennt Israel so seine Identität als gerettetes Volk Gottes. Mit Name, Bekenntnis, Dank. Immer gleich. Immer neu.

Wir Christen tun das ebenso. In jeder Eucharistiefeier, die ja eine Dankfeier ist, deuten wir unsere Geschichte mit Gott. Wir stehen da mit unseren Namen; wir bekennen und danken. Wir vergewissern uns unserer Identität. Mit Name, Bekenntnis, Dank. Immer gleich. Immer neu.

Das bleibt nicht folgenlos. Der Dank gegenüber Gott zeigt sich als Solidarität gegenüber Anderen und Fremden. Die dankbare Erinnerung an die eigene Geschichte enthält in sich schon den Aufruf, ungerechte Fesseln zu lösen und Fremde zu achten. Wer selber fremd war, kann Fremde nicht vom Fest ausschliessen. Nicht, weil man ohne sie nicht feiern könnte. Nicht, weil ihre Anwesenheit ein schöneres Fest garantieren würde. Aber weil die Fremden genauso wie alle anderen Anteil an einem Leben in Fülle haben.

Israels Gott ist auch unser Gott. Er zeigt Mitgefühl, denn er ist von der Not des Menschen bewegt. Er rettet. Kurz: Er ist barmherzig. Barmherzigkeit ist sein Name, seine Identität. Immer gleich und immer neu.

Wir Christen glauben an diesen barmherzigen Gott. Das Bekenntnis zu ihm steht in unserem Christen-Pass. Gelebte christliche Identität ist die Antwort, die wir unserem Gott geben, der sich über die ganze Geschichte solidarisiert mit Fremden, Verachteten, Sünderinnen und Sündern und schliesslich in Jesus Christus selbst Mensch wird.

In diesem Heiligen Jahr der Barmherzigkeit darf ich Orte besuchen, wo Menschen unsere christliche Identität vielfältig bekennen. Hier lebt Gottes Barmherzigkeit. Da werden Menschen unterstützt, Benachteiligte integriert, Randständige in die Mitte genommen. Da geht die Not der Fremden zu Herzen. Und das Herz glaubt, was der Mund bekennt. Unserem Christen-Pass wird der Gültigkeitsstempel mit unserer gelebten Identität aufgedrückt.

Damit der Pass nicht abläuft und seine Gültigkeit bewahrt, vergewissern wir uns dieser christlichen Identität immer wieder neu. Sie ist unsere Herkunft, unsere Geschichte, unsere Gegenwart, unsere Zukunft. Seien wir deshalb achtsam auf die Worte, mit denen wir unsere Identität schaffen, achtsam auf die Taten in ihrem Namen. Gehen wir achtsam um mit den Geschichten und Erinnerungen, die unsere christliche Identität nähren. Mit Erinnerung und Barmherzigkeit. Immer gleich. Immer neu.

Das lebt jede und jeder für sich. Mit dem Christen-Pass in der eigenen Farbe. Das leben wir gemeinsam als christliche Gemeinschaften. Mit dem vielfarbigen Christen-Pass. So haben wir eine lautere Stimme in der Welt. Wie hiess es in der Lesung? Gemeinsam begannen sie zu schreien, und da hat Gott sie erhört.

Auch die Welt um uns herum wird nicht anders können. Ich wünsche uns allen die Ausdauer, mit lauter oder auch leiser Stimme unsere christliche Identität zu leben. Möge Gott uns dazu stärken.

Ihr +Felix Gmür, Bischof von Basel