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Hirtenwort 2015: Ohne Angst! Göttliche und menschliche Zeichen

Liebe Schwestern und Brüder

Manchmal wird mir wirklich angst und bang! Schreckensmeldungen aus aller Welt prasseln unaufhörlich auf uns ein: Enthauptungen vor laufender Kamera, vom Meer verschlungene Schiffbrüchige, brennende Kirchen, Seuchen, Hunger und Tod. Manchmal wird einem wirklich angst und bang. Wir bleiben entsetzt zurück, sprachlos und ohnmächtig. Und es kommt der Zweifel in uns auf: Ist das die Welt, die Gott will?

Wir alle sind Teil dieser Welt. Wir profitieren von der weiten Welt, zumal wirtschaftlich und kulturell, und haben doch das Bedürfnis, uns abzugrenzen. Wir verstehen uns als demokratisch und friedfertig, fleissig und genau, selbstbewusst und selbstbestimmt. Und doch hängen wir von der Welt um uns herum ab. Deshalb hinterlässt das Weltgeschehen auch Verunsicherung bei uns.

Und die Kirche? Vielen Menschen gab die Kirche früher in Zeiten der Verunsicherung Halt und Sicherheit. Heute erlebe ich es so: Für die einen sind Kirche und Religion überhaupt keine Bezugspunkte mehr. Für andere ist es schmerzlich anzunehmen, dass sich auch die Kirche verändert. Liebgewonnene Gewohnheiten unserer Kirche verschwinden. Neues wird geschaffen. Manchmal sind die Strukturen gar stärker als die Inhalte. Das Interesse am Leben in den Pfarreien ist eher klein. Es fehlt der Kirche an Mitarbeitenden. Viele rufen nach Veränderung, wenn auch in unterschiedliche Richtungen. Wir merken, dass wir in vielem ohnmächtig sind. Und es kommt der Zweifel in uns auf: Ist das die Kirche, die Gott will?

Es brennt in der Welt. Es brodelt in der Kirche. Es ist bedrohlich.

Wir werden uns immer wieder in bedrohlichen Situationen wiederfinden. Manchmal betreffen sie uns am Rande, manchmal ganz existentiell. Mit gutem Recht fragen wir uns dann: Ist das die Welt, die Gott will? Ist das die Kirche, die Gott will?

Vorschnell darf eine Antwort auf so grundsätzliche Anfragen nicht sein. Sie würde uns als Menschen, die denken, fühlen und glauben, nicht ernstnehmen. Nur auf eine Welt im Jenseits vertrösten darf die Antwort auch nicht. Sie würde dem Geschenk der göttlichen Schöpfung nicht gerecht. Sich in theologische Lehrsätze verstricken darf die Antwort auch nicht. Sie übersähe, dass sich unser Glaube im Alltag zu bewähren hat.

Wie könnte die Antwort auf unser Fragen dann aussehen?

Die heutige Lesung hat auch eine bedrohliche Situation zum Ausgangspunkt. Mit der Sintflut wurde alles Leben auf der Erde vernichtet. Als Noah wieder festen Boden unter den Füssen hat, stellt sich auch für ihn die Frage: Ist das die Welt, die Gott will? Wie sieht die Welt aus, die Gott bestehen lassen will?  Dem biblischen Text entnehme ich eine dreifache Antwort. 1. Gott verpflichtet sich selbst zu solidarischem Verhalten mit allen Lebewesen. 2. Gott setzt sich als Erinnerungszeichen den Regenbogen an den Himmel. 3. Auch der Mensch trägt das Seine zur Veränderung bei.

Was bedeuten diese drei Antworten heute? Sie betreffen das Miteinander von Gott, Mensch und Welt. In ihren Botschaften finde ich Mut für unsere gegenwärtige Situation und Vertrauen für die Zukunft.

1. Genug für alle Als Erstes verpflichtet sich Gott zu einem solidarischen Verhalten mit allen Lebewesen: Er schliesst mit Noah einen Bund. Gott „stellt“ den Bund feierlich „auf“, heisst es wörtlich. Gott verbindet die Welt mit sich; er bindet sie an sich. Gott und die Welt gehören zusammen. Gottes Bund kennt keine Bedingungen, keine Gegenleistung. Und Noah? Noah braucht nicht einmal zu antworten. Gott steht unerschütterlich zu seinem Bund. Der Mensch kann diesen Bund ignorieren. Er kann ihn bezweifeln. Aber er kann Gott nicht dazu bringen, ihn zu brechen. Was für eine Zusage! Gott ist für immer verbunden mit allem, was „Lebensatem“ hat. Die Erde bleibt trotz aller Gewalt das Lebenshaus, das Gott für uns will.

Das macht die Schreckensmeldungen der letzten Monate nicht weniger schlimm. Aber es bettet sie ein in die Zusage Gottes. Gott glaubt an die Welt. Ich weiss nicht, wie es Ihnen geht, aber wenn ich weiss, dass jemand an mich glaubt, hat die Angst einen schweren Stand. Und Angst nimmt gefangen. Angst macht zu. Angst macht klein. Gottes Zusage ernst zu nehmen bedeutet, dass uns Angst nicht erdrücken kann. Auch nicht in bedrohlichen Situationen. Denn Gott steht hinter seinem Bund.

Sein Bund gilt allen Lebewesen. Das sind viele, sehr viele. Auch solche, die wir vielleicht lieber nicht dabei hätten. Solche, die anders denken als wir. Solche, die anders handeln als wir. ALLE! Wir sind eine Art Wohngemeinschaft im Haus Gottes. In Wohngemeinschaften herrscht manchmal dicke Luft, doch letztlich stecken alle unter einer Decke. Was liegt da näher, als uns einzusetzen für jene, denen es weniger gut geht? Genau das macht das Fastenopfer, auch dank Ihrer grosszügigen Unterstützung. Dieses Jahr thematisiert das Fastenopfer den Klimawandel und das Recht auf Nahrung unter dem Titel „ Weniger für uns, genug für alle “. Genug für alle: Das ist die Welt, die Gott will. Das ist die Kirche, die Gott will.  

2. Leben ohne Angst Gott selbst setzt sich als Zweites ein Zeichen des Bundes. Es ist der Regenbogen. Nach der Sintflut besitzt Gott eine illusionslose Weltsicht. Er ist gewissermassen Realist. Er weiss um die tödliche Gewalt, mit der die Menschen sich gegenseitig bedrohen und vernichten. Aber diese eine Welt ist sein Königreich. Dieser Welt hat er sein bedingungsloses Ja gegeben. Welt und Himmel sind miteinander in allen Farben und Facetten verbunden. Gott hat seine gewaltsame Aus-einandersetzung mit der Welt beendet. Sollte er angesichts des Bösen in der Welt wieder einmal kriegerisch durch eine Sintflut die Erde vernichten wollen, wird sein Bogen am Himmel aufstrahlen. Sein Regenbogen erinnert ihn und alle anderen an den bleibenden Bund.

Wenn schon Gott ein Zeichen setzt, um sich an den Bund zu erinnern, warum sollte es für uns nicht genauso sein? Wenn eineinhalb Millionen Menschen auf die Strasse gehen und sich gegen Gewalt stark machen, ist das ein starkes Zeichen. Ebenso starke Zeichen setzen Pfarreien, die gegen die Angst vor dem Fremden ein grosses Fest feiern. Mit Menschen aus allen Nationen bekennen sie unseren Gott, der Gott aller Menschen ist, beten für Frieden, schenken einander Hoffnung. Ein starkes Zeichen ist für mich auch, wenn ich sehe, wie in vielen Pfarreien in unserem Bistum die Zusammenarbeit mit den Nachbarn, mit den anderen, mit den Missionen am Wachsen ist. Uns gegenseitig zu achten, auf Eigenheiten zu sensibilisieren und eine gemeinsame Gebetssprache zu finden, ist eine Bereicherung für uns. Wir Christen haben keine Angst, denn wir alle leben unter demselben Himmel. Das ist die angstfreie Welt, die Gott will; das ist die mutige Kirche ohne Angst, die Gott will.  

3. Vertrauen in die Zukunft Das führt uns zum Dritten : Wir Menschen tragen das Unsere zur Veränderung bei. Der Bund braucht zwar keine Gegenleistung. Noah muss nichts zum Bund von Gott sagen. Und dennoch hat der Mensch einen Beitrag zum Bestand der Schöpfung, des Lebenshauses, zu leisten. Für diese Aufgabe werden Noah und seine Nachkommen von Gott gesegnet. An diese Aufgabe erinnern die Worte Jesu im Evangelium: Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um, und glaubt an das Evangelium! Diese Welt ist Gottes Königreich. Damit es sich so entfalten kann, wie es von Gott gedacht ist, muss der Mensch den Sinn ändern. Er muss umkehren. Er kann die Umkehr selbst an die Hand nehmen, weil ihm Gottes Zusage gewiss ist und Jesus Christus mit seinen Worten und Taten den Weg weist. Ruft nicht gerade die momentane Situation in Kirche und Welt nach Umkehr? Was beginnt, wenn in der Kirche statt Angst vor Veränderungen der Mut, die Zuversicht und die Freude am Neuen überhandnehmen? Was geschieht, wenn wir Überkommenes verabschieden und dem Grösseren, der neuen Zusammenarbeit mit den Nachbarn, dem Aufbruch in die Zukunft Raum geben? Kann das nicht die Kirche werden, die Gott will?

Dass unser Lebenshaus „Kirche“ bewohnbar bleibt, verlangt ein Teamwork von allen. Gegenseitige Unterstützung, Gemeinschaft über den eigenen Zaun hinaus, ein vertrauensvoller Blick in die Zukunft: Das sind Zeichen der Kirche, die Gott will. Gottes verlässliche Zusage verwandelt unsere Angst in Mut, gemeinsam dran zu bleiben. Ich danke Ihnen, liebe Gläubige, von Herzen für Ihren Einsatz. Habt keine Angst!

Mit allen guten Segenswünschen

Ihr +Felix Gmür Bischof von Basel