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Eucharistie - Freundschaft mit ihm unter uns?

Stephan Leimgruber

Die Eucharistiefeier hat ihre Selbstverständlichkeit verloren. Fragen rund um das heilige Geschehen häufen sich. Die Corona-Krise verstärkt und radikalisiert diese Fragen. Nicht wenige Pfarreien haben einen neuen spirituellen Zugang gefunden, obwohl die Einhaltung der Abstandsregeln kurios anmutet. Trotz Hindernissen lebt die Feier vielerorts. Man erinnert sich an die eindrücklichen Messfeiern von Papst Franziskus. Doch im deutschsprachigen Raum Europas haben sich die Reihen gelichtet.

Von Prof. em. theol. Stephan Leimgruber

Die Vermutung liegt nahe, dass die einzuhaltenden Abstände zur Regel werden. Wer sieht noch am Sonntagsmorgen die geistig-geistliche Mitte seines christlichen Lebens? Und: Warum bleibt die Jugend dem Gottesdienst fern mit Ausnahme der Ministrantinnen und Ministranten und frommen Adoraileuten? Weshalb wirken die mit Begeisterung gefeierten Erstkommunionen so wenig nach? Und dies bereits in der dritten Generation!

Da kommt die Festschrift «Eucharistie» zum 70. Geburtstag für Kardinal Kurt Koch gerade zupass. Was sagen denn die darin zu Wort kommenden 17 Bischöfe und Professoren zu diesem Geheimnis und den vielen damit verbundenen Problemen? Welche Sprache sprechen sie? Wir treffen eine Auswahl.

Teil 1 versucht Antworten zu geben durch ein «Zurück zu den Quellen» und Ursprüngen dieser Feier. Erzbischof Bruno Forte geht davon aus: «Die Eucharistie ist Begegnung mit dem Auferstandenen». Er blendet zurück auf die sinnstiftenden Grunderfahrungen der Frauen und Jünger, auf die Erscheinungen des Auferstandenen am Ostermorgen, in Emmaus und am See Genezareth. Erinnerung und Wiedererkennung des Gekreuzigten haben zum Zeugnis der Liebe ermutigt. Was die ersten Zeugen mit eigenen Augen gesehen haben, darüber konnten sie nicht mehr schweigen. Die Ostererfahrung hat Menschen verwandelt: Die ängstlich Geflüchteten sind zu authentischen Zeugen neuen Lebens geworden und legen bescheiden und ehrfürchtig Rechenschaft über ihre Hoffnung ab (vgl. 1 Petr 3,15).

Der Neutestamentler Thomas Söding bedenkt die Gastmähler, die Jesus mit den Zöllnern und Sündern gehalten hat, auch mit den «Armen, Krüppeln, Lahmen und Blinden» (Lk 14,13), sogar mit Gegnern und Skeptikern wie mit Sympathisanten. Bezeichnend für diese Mähler sind zwei sprechende Gesten geworden: Das Brechen des Brotes und das Teilen des Weines. In den Gesten des Ver-Teilens wird die Hingabe Jesu durchsichtig. Er verschenkt sich selbst in den Zeichen von Brot und Wein. Er lädt ein, diese Gesten immer wieder zu vollziehen, um sein Reich zu vollenden und sich so auf das ewige Festmahl vorzubereiten. Sinn der Eucharistie wird es, sich im Geiste mit Jesus Christus zu verbinden, seine Barmherzigkeit und Liebe zu kosten, um von dieser Nahrung zu leben. «Die Eucharistie ist ein Viaticum auf dem Weg der Nachfolge, die, so oder so, Kreuzesnachfolge ist» (85).

Teil 2 der Festschrift akzentuiert die Dimension der Gemeinschaft. Ohne dass sich die Getauften versammeln, miteinander beten und singen, bekennen, austauschen und bezeugen, gibt es keine Eucharistie. Die kirchliche (ekklesiale) Dimension der Eucharistie ist kapital, unentbehrlich und identitätsstiftend. «Die Eucharistie ist das schlagende Herz der Kirche» (Papst Franziskus). Doch auf diese Quelle verzichten heute viele und gestalten ihr Leben so, als existierte Gott gar nicht. Sie gleichen sich dieser Welt an und haben andere Sorgen. Die Feier des Geheimnisses Christi ist manchen nicht mehr evident. Christus selbst ist einigen abhandengekommen. Christsein gehe auch ohne Kirche. Die gemeinschaftliche Dimension des Gottesdienstes scheint zu verkümmern. Individualistische Lebensgestaltung am Sonntagmorgen hat den einst gemeinsamen Kirchgang verdrängt. Und der Opfercharakter der Eucharistie, von dem in dieser Festschrift so viel die Rede ist, können Zeitgenossinnen und Zeitgenossen schwer versehen.

Teil 3 und 4 befassen sich mit der Thematik Eucharistie und Sonntag bzw. Eucharistie und Alltag. In mehreren Beiträgen schimmert durch, dass ein neuer Zugang nicht ohne «lebenslangen geistlichen Prozess für alle einzelnen Gläubigen und für die Kirche als Ganze» möglich ist. Bischof Felix Gmür meint in seinem denkwürdigen Beitrag, dass christlicher Alltag sich «an der Quelle und von der Quelle» (293) erneuern könne.

«Wo Eucharistie gefeiert wird, da ist Kirche. Sie ist ganz sich selbst, aktualisiert ihr eigenes Wesen, also Ursprung und Zukunft, Anfang und Ziel, Jesus Christus als absoluten Referenzpunkt» (294).

Für den Bischof von Basel sollen «Eucharistieorte» Priorität haben, was leider gleichzeitig besage, dass andere Orte nicht prioritär behandelt werden (296). Die Tendenz zeige in Richtung eucharistische Zentren. Deshalb müsse er die im Bistum Basel (aber nicht nur da!) verbreitete Praxis «hinterfragen», «den sonntäglichen Wortgottesdienst in Verbindung mit einer Kommunionfeier zu begehen» (298). Denn, erstens sei die Eucharistie als Vollzug des Paschamysteriums durch nichts zu ersetzen und zweitens «verdunste» dadurch das Eucharistieverständnis. Eine Wortgottesfeier ohne Kommunion sei freilich «nicht vermittelbar» und man könne den Gläubigen nicht verübeln, dass sie nach der Kommunion verlangen. Doch lasse sich «die Leere» durch die eucharistische Anbetung füllen oder – etwa nach Bruder Klaus und anderen – durch die geistliche Kommunion. Aufschlussreich ist schliesslich das Plädoyer des Bischofs, «die Priester, die an diesen Orten wirken, zu unterstützen» und «Orte eucharistischen Lebens zu stärken» (296). Den Gläubigen dürfe auch zugemutet werden, über die eine Wohngemeinde hinaus zu gehen, um an der Eucharistie teilzunehmen, damit ein Leben in Fülle – von der Quelle – möglich werde. Für Bischof Gmür ist selbstverständlich:  Nicht aussen vor dürfen viri probati gelassen werden, und auch die Frauen seien in das «sakramentale Amt einzubinden» (399).

Zugegeben, die Festschrift für Kardinal Kurt Koch liest sich spannend, ihre Autoren (und als einzige Autorin die Ökumene-Professorin Dorothe Sattler) gehören zwar nicht dem revolutionären Lager oder der lateinamerikanischen Befreiungstheologie an. Aber sie zeigen interessante Zusammenhänge auf. Was zu kurz kommt, ist die Eucharistiekatechese oder das Aufzeigen von Wegen, wie der Gottesdienst als Fest des Lebens weitergegeben werden kann. Heute fehlen Grundvoraussetzungen, um überhaupt mitzufeiern. Es fehlen Kernkompetenzen die erlangt werden müssen: durch das familiäre Glaubensleben, durch eine Gebetsschule, durch Bibellektüre, durch glaubwürdige Vorbilder und lebensbezogene gemeindliche und katechetische Feiern. Wie wollen unsere handygewohnten Kinder hören lernen, Stille aushalten, sich Fragen stellen, suchen und die Bereitschaft zum Gutestun  immer mehr entfalten? Ansätze sind durchaus gegeben und werden auch in der Erstkommunionvorbereitung grundgelegt, aber später zu wenig entfaltet. Die Feier der Eucharistie geht uns katholische Christinnen und Christen brennend an! Die Zeichen des Brotbrechens und des Teilens schenken Anteil an der Freundschaft mit ihn und untereinander.