News

Bruder Klaus - wie er wirklich war

Bildausschnitt aus Dauerausstellung "Niklaus von Flüe - Vermittler zwischen Welten" im Museum Bruder Klaus, Sachseln

Dr. Othmar Frei, Stiftspropst der Hofkirche Luzern, hat sich viele Jahre mit dem Heiligen vom Ranft beschäftigt. Sein Schwerpunkt liegt auf den frühesten Zeugnissen über Niklaus von Flüe, also nicht auf den nachträglichen Bildern, die man etwa im 19. Jahrhundert oder im Zweiten Weltkrieg von ihm gemacht hat, z. B. als Exponent der geistigen Landesverteidigung der Schweiz, sondern wie er tatsächlich gewesen ist.

Interview des emeritierten Theologieprofessors Stephan Leimgruber mit Dr. Othmar Frei anlässlich des Gedenktages am 25. September. 


Zur 600-Jahrfeier 2017 hat die Expertenkommission unter dem Thema «Mehr Ranft» Bruder Klaus wieder ins Bewusstsein gebracht und der katholischen wie auch reformierten Schweizer Bevölkerung neu erschlossen. Sie, Othmar Frei, haben sich mit dem ursprünglichen Bruder Klaus intensiv befasst. Was kann man mit Gewissheit sagen, das Bruder Klaus zur Tagsatzung in Stans beigetragen hat? Er war dort bekanntlich nicht persönlich anwesend.

Nach den Burgunderkriegen kam es zu schweren Differenzen zwischen den drei Städteorten und den fünf Länderorten. Nach vielen erfolglosen Verhandlungen sollte an der nach Stans einberufenen Tagsatzung nochmals eine Lösung gesucht werden. Kurz vor Weihnachten war die Situation so eskaliert, dass ein Krieg unausweichlich schien. Da hat Heini Amgrund, der Pfarrer von Stans, über Nacht den ihm eng vertrauten Bruder Klaus im Ranft aufgesucht und am Morgen seinen Rat übermittelt, der dank der Autorität von Bruder Klaus unverhofft zu einer schnellen Einigung führte. Auf den ausdrücklichen Wunsch des Eremiten wurde sein Rat nur dem engeren Entscheidungsgremium mitgeteilt. „Wir wissen nicht, worauf die Ausstrahlung des Einsiedlers letztlich beruhte, wir wissen nur, dass sie da war, ein Ereignis, das unwiderlegbar bezeugt ist“ (Peter von Matt).

Bruder Klaus ist erst mit fünfzig ausgezogen. War der Grund dafür, dass er politisch gescheitert ist?

Keineswegs. Niklaus von Flüe hat zwar verschiedene politische Ämter innegehabt, doch sagte ein Jugendfreund von ihm: „nach Möglichkeit zog er sich von der Welt zurück, floh und verachtete alle zeitliche Ehre, und besonders wandte er allen Fleiss daran, dass er nicht Landammann würde, denn sonst wäre er es bei Zeiten geworden.“ Sein ältester Sohn Hans bezeugte: „solange er gedenke, habe sein Vater immer die Welt geflohen und ein einsiedlerisches Wesen gehabt und allzeit gesucht“. Das war seine Berufung, die er aber erst in den zwei Jahren vor seinem Abschied von Familie, Haus und Hof klar erkannte.

Stimmt es, dass Bruder Klaus Beziehungen zu den Gottesfreunden im Allgäu hatte und seine Spiritualität von dort her genährt wurde? War er wirklich nie im Ausland?

Alles was Bruder Klaus von der Spiritualität der sogenannten Bewegung der Gottesfreunde erfahren hat, ist ihm durch Begegnungen mit Besuchern und durch die zeitgenössische Gebetssprache bekannt geworden. Von Aufenthalten ausserhalb Obwaldens wissen wir mit Sicherheit nur, dass er mehrmals zu Kriegszügen aufgeboten wurde, besonders während des Alten Zürich Krieges, und dass er am 16. Oktober 1467 von zu Hause aufgebrochen ist und bis Liestal gekommen ist.

In den letzten Jahren hat man die Stellung von Dorothee Wyss aufgewertet und ihr Mittragen des Einsiedler-Projekts von Bruder Klaus bedacht. Was wissen wir von Dorothee, wie sie auf die Berufung des Bruder Klaus reagiert hat und welche Beziehung sie weiterhin zum Heiligen im Ranft hatte.

Wir wissen dazu sehr wenig. Bruder Klaus bezeugt, dass er von Dorothee und den Kindern die Zustimmung zum Einsiedlerleben erhalten hat. Wie die beiden Eheleute vorher miteinander gerungen haben, ist nicht überliefert. Die einzigen von Dorothee überlieferten Worte lassen die bedrückende Situation erahnen. Auf die Frage Hans Waldheims, eines Besuchers im Ranft: „Liebe Frau, wie lange ist Bruder Klaus fort von euch?“, antwortete sie: „Dieser gegenwärtige Knabe, mein Sohn, wird am Tage des Sankt Johann des Täufers sieben Jahre alt, und als der Knabe dreizehn Wochen alt war, es war am Sankt Gallus Tage, da schied Bruder Klaus von mir und ist seit der Zeit nie mehr bei mir gewesen“. Gelegentlich haben Dorothee und ihre Kinder Bruder Klaus später im Ranft besucht.

Wenn ich recht informiert bin, hat Niklaus von Flüe zwanzig Jahre ein Vollfasten durchgehalten und nur von dem eucharistischen Brot gelebt. Stimmt das und wie erklären Sie sich das?

Ganz ähnlich wurde Bruder Klaus von einem unbekannten Dominikaner im Jahre 1469 gefragt: „wie er zu dem gelangt sei, was man von ihm erzähle, dass er ohne irdische Speise lebe, und ob das wahr sei?“ Er hat ihm beide Fragen nicht beantwortet und sich auch immer wieder geweigert von seiner Nahrungslosigkeit zu sprechen. Berühmt ist seine Antwort auf die ähnliche Frage Waldheims: „Gott weiss“. Ich kenne nur drei Stellen in den Quellen, wo Bruder Klaus in speziellen Situation von seiner Nahrungslosigkeit kurz gesprochen hat. Nach der Rückkehr von Liestal hat er mit der totalen Abstinenz begonnen. Die Tatsache ist, nach rein geschichtlichen Kriterien beurteilt, nicht zweifelhaft. Eine natürliche Erklärung gibt es nicht. Dass er anstatt von irdischer Speise vom eucharistischen Brot gelebt habe, hat Bruder selber Klaus so nicht gesagt. Seinem Beichtvater Oswald Ysner „habe er einmal in seinem Häuschen in grossem Vertrauen gesagt, wenn er bei der Messe sei und der Priester das Sakrament geniesse, dann empfange er davon eine Stärkung, dass er ohne Essen und Trinken sein möge, sonst möchte er das nicht erleiden“.

Niklaus von Flüe war Laie, nicht Priester. War das ein bewusster Entscheid oder eher zufällig?

Berufungen zum Priestertum werden meistens durch Begegnungen mit überzeugenden Priestern geweckt. In seiner Jugend gab es in Sachseln während Jahren keine Pfarrer, und später nicht überzeugende Geistliche, die übrigens meistens von weither stammten. Als Erwachsener hat Nikolaus zwei vorbildliche Pfarrer kennen gelernt, die ihn geistlich gefördert, aber nicht in Latein unterrichtet haben. Nikolaus war zum Einsiedler berufen, die selten Priester waren – wie auch anfänglich die Benediktiner und später die Franziskaner.

Was können wir darüber wissen, wie Niklaus von Flüe zu seinen zehn Kindern stand?

Es gibt keine Anzeichen, dass Nikolaus nicht ein guter Vater seiner 5 Söhne und 5 Töchter war. In den Jahren seiner Lebenskrise vor dem Abschied von Frau und Kindern „war er so tief niedergedrückt, dass mir selbst die liebe Frau (!) und die Gesellschaft der Kinder lästig ward“, gestand er dem schon genannten Dominikaner. Näheres von den Kindern wissen wir nur von den zwei ältesten Söhnen, Hans und Welty, und dem jüngsten, Nikolaus. Hans und Welty wurden beide mehrmals zum Landamman gewählt. Sie waren im Unterschied zu ihrem Vater weltlichen Ehren und Machtspielen sehr zugetan, was Bruder Klaus sicher nicht gefallen konnte.

Ein Sohn ist Pfarrer geworden. Was wissen wir von ihm oder über ihn?

Der jüngste Sohn, Nikolaus, war noch ein Säugling, als sein Vater von zu Hause wegzog. Er hat später an den Universitäten Basel, Paris und Pavia studiert, auch mit Stipendien, die ihm wegen seines berühmten Vaters zugesagt wurden. 1492 wurde er in Konstanz zum Priester geweiht; 1491-1502 war Nikolaus Kaplan der von seinem Vater gegründeten Ranftpfründe, von 1502 bis zu seinem frühen Tod im folgenden Jahr war er Pfarrer von Sachseln.

Viele Menschen suchten bei ihm Rat. Wie kann man sich die beratende Tätigkeit von Bruder Klaus vorstellen?

Ein junger Mann aus Burgdorf hat nach dem Tod vom Bruder Klaus einem Freund über seine beiden Besuche beim Einsiedler berichtet. Er suchte bei ihm Rat betreffend seine Berufswahl. Der Burgdorfer besuchte Bruder Klaus allein und unangemeldet. Es gab also durchaus freien Zugang zum Einsiedler. „Bruder Klaus reichte mir die Hand und sagte: Willkommen!“ Er schreibt: „Nach seiner besonderen Art hat er mit solchen viel gesprochen, deren Gewohnheit es ist, viel zu fragen. Ich habe das von andern erfahren… Er setzte sich auf einen Steinhaufen und ich setzte mich zu seinen Füssen“. Bruder Klaus hatte offenbar einen ungezwungenen Zugang zu jungen Menschen.

Es hat 460 Jahre bis zur Heiligsprechung (1947) gedauert. War etwas nicht klar? Gab es Zweifel?

Bruder Klaus wurde in der Pfarrkirche Sachseln bestattet. Fünf Jahre nach seinem Tod, 1492, wurde auf dem Hochaltar das bekannte Bild angebracht, das erst 1945 wiederentdeckt worden ist. Nach verschiedenen Bemühungen wurde Bruder Klaus 1648/1649 selig gesprochen, aufgrund seiner Verehrung seit urdenklicher Zeit. Erst zweihundert Jahre später wurde der Prozess wieder aufgenommen und Bruder Klaus 1947 heiliggesprochen. Dass es so lange gedauert hat, ist nicht Zweifeln an seiner Frömmigkeit, an seiner echten Jesusnachfolge und seiner aussergewöhnlichen Lebensform geschuldet, sondern vor allem administrativen Unzulänglichkeiten.